Teil 14

Straße zum Drinking Spot

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Teil 14

Die Bewachung hatte bereits 12 Wochen gedauert, als Bruns eines morgens wie ein hungriger Wolf durch die Vorgärten schlich und einen nach dem anderen verwüstet. Er stiess dabei Laute aus, die denen eines verendenden Tieres ähnelten. Immer wieder schrie er, er hätte es verhindern müssen, Smitty habe es wieder getan, er habe es wieder getan! Wie das habe passieren können? „Ich hätte es verhindern müssen!“

Die Nachbarn liefen eilig zusammen. Einige waren amüsiert, doch die meisten waren besorgt. Eine verängstigte Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm rief schließlich die Polizei. Erst, als ihn mehrere Beamte „einfangen“ und zu Boden werfen konnten, beruhigte sich der schier Übergeschnappten. Und wieder einmal führte Bruns’ Weg ins Gefängnis.

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Ich hole mein Gepäck aus dem Tucson Inn und fahre auf einer großen Straße nach Norden, vermutlich in Richtung Stadtgrenze. Als die N Oracle Road meine Straße kreuzt biege ich ab, wohl wissend, dass diese Straße direkt zum Drinking Spot führt. Der gerade noch wild bebaute Innenstadtteil wird zur Wohngegend. Friedlich sieht es hier aus, beinahe einladend. Ich rolle langsam durch eine Idylle von eng stehenden, einstöckigen Vorstadthäusern. Männer und Frauen sitzen in ihren Gärten, Kinder spielen auf künstlichem Rasen oder planschen in Schwimmbecken. Hälse drehen sich nach mir um. Blicke folgen mir.

Ob die Menschen ahnen, was sich in dieser Gegend vor 32 Jahren zugetragen hat?

Nach ein paar Minuten sehe ich nur noch vereinzelte Häuser. Ich fahre am Ortsschild Tucson vorbei. Hier draußen, vor der Stadt ist die Luft trocken und heiß, beinahe schneidend. Das Thermometer auf dem Armaturenbrett zeigt fast 40 Grad in der Sonne. Bei diesen Temperaturen macht das Autofahren keinen Spaß. Vielleicht ist es keine gute Idee, nachher die knapp 100 Kilometer nach Nogales in Mexiko zu fahren, wo Schmid geheiratet hatte, denke ich. Die Strasse macht jetzt eine Kurve, dann endet sie. Einfach so. So beginnt also die Wüste, denke ich.

Auf einem unbefestigten Schotterweg fahre ich noch etwas weiter, bis ich an ein Schild komme, das mir das Autofahren ausdrücklich verbietet, übrigens auch jeglichen Drogenkonsum. Kein Mensch ist unterwegs. Ich öffne eine Dose Bier. Sollte ich jetzt in eine Polizeikontrolle geraten, würde ich mit Sicherheit im Tucson Prison enden. Wie Schmid, wie Bruns. Nichts könnte mir herzlicher egal sein. Ich fahre weiter. Irgendwann werfe ich die leere Bierdose aus dem Fenster.

Ich öffne noch ein Bier – und zucke zusammen. Der Schluck bleibt mir fast im Hals stecken. Vor mir taucht ein Kreuz auf. Ich sehe mich um. Da ist noch eines. Daneben liegen Steine herum, so groß wie Handbälle. Ich parke. Es ist Mittag, die Sonne steht genau über mir. Das Kreuz flackert ein bisschen vor meinen Augen, es verschwimmt. Es ist aber auch heiß, denke ich und besehe mir das eine Kreuz genauer. Die Initialen „AR“ vermeine ich zu erkennen, „AR“, wie Alleen Rowe, Schmids erstem Mordopfer. Ich werfe die Dose in hohem Bogen über das Kreuz, höre, wie sie dahinter einen Abhang hinunterrollt. Dann ist es wieder still.

Ob Bruns die beiden Schwestern hier verbuddelt hat?

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