Teil 11

Gretchen Fritz
Foto: unbekannt

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TEIL 11

Kaum sitze ich in einem Café, verzieht sich der Nieselregen, und es klart auf. Ich hatte Kälte erhofft, es ist mild. Ich beobachte den University Boulevard. Es ist ein hektischer Morgen, Menschen rennen hin und her. „Walk around Times Square, with a pistol in my suitcase“, höre ich aus einem Lautsprecher. Die Universität öffnet ihre Tore und entlässt Uniform tragende junge Menschen auf die Straße. Mit einem Schlag ist das Café voll und laut. Wenn ich jetzt eine Pistole hätte, ich würde schießen. Ich stürze auf die Straße. In Tucson hält mich nichts mehr.

Ich laufe zu meinem Wagen. Da höre ich hinter mir eine Stimme: „Sess, Sess, Sess.“ Ich schaue flüchtig über meine Schulter. Ein kleiner Mann mit indigenen Zügen taucht neben mir auf. Er wirft mir einen Blick zu, mit einer leichten Handbewegung bedeutet er mir ihm zu folgen. Ich schließe meine Augen. Es ist 10 Jahre früher.

Ein früher Sommermorgen in Alphabet City, New York. Ich bin noch nicht lange hier, vielleicht zwei, drei Monate. Gerade laufe ich Avenue C entlang, auf dem Weg zu meiner Wohnung. Auf der Straßenseite gegenüber steht die Ruine eines abgebrannten Hauses, im Eingang des Wohnsilos, das ich gerade passiere, kauert ein Hispanier und hantiert mit zittrigen, ausgemergelten Händen an einer Spritze. Eine Frau schaut ihm apathisch über die Schulter, rhythmisch kreist ihr Kopf zu einem stummen Beat. Vor und zurück, vor und zurück. Vielleicht trägt sie Kopfhörer, ich kann es nicht erkennen und bleibe stehen. Plötzlich richtet sie ihren Blick auf mich und starrt mich aus toten Augen an. Ich zittere. Meine Nacht war lang, dies ist nicht meine Stadt, und das ist nicht mein Leben. Die Frau ist jung, hoffnungslos, verloren. Ich habe Angst. Mit dem letzten Funken an Trauer im Blick streckt sie mir ihre Hand entgegen. Ich greife nach einem Geldstück. Da sehe ich, wie ihrem Arm Blut entlang rinnt. Mit Mühe halte ich die Tränen zurück.

Die letzten Meter nach Hause folgt mir ein Schwarzer, der mir ohne Unterlass zuflüstert: „Sess, Sess.“ Ich wundere mich über das Wort, das ich noch nie gehört habe.

Ich öffne meine Augen und folge dem Mann mit den indigenen Zügen in eine Seitengasse. Er bleibt stehen. „How much?“, sage ich. „Ten, ten“, sagt er und zeigt mir zehn Finger. Er deutet auf eine kleine Tüte in seinem Jackeninneren. Ich sage Five, er wiederholt seinen Preis, steckt aber noch ein paar getrocknete Pflanzen in die Tüte und hält sie mir hin. Ich gebe ihm das Geld. Sekunden später ist er verschwunden. Im Auto fällt mein Blick auf das Sixpack, das Marihuana in meiner Tasche hebt meine Stimmung. Ich fahre in die Wüste, zum Drinking Spot. Alleine.

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Eines abends kommen die beiden Schwestern nicht nach Hause. Zum Verschwinden der Teenager hier klicken

Fortsetzung folgt

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