Teil 9

Schmid’S Gefängnis-Tagebuch, plus original Zeichnung
Foto: Polizei

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Als ich aufwache, bin ich völlig übermüdet. Es ist früh, 6 Uhr, ich will noch etwas schlafen. Es geht nicht. Der Jetlag. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und stehe auf. Ich ziehe mir den schwarzen Anzug an, den ich extra für diesen Zweck mitgenommen habe. Er ist etwas zerknittert, aber noch tragbar. Ich erwäge kurz, eine Krawatte umzubinden, entscheide mich dann aber für eine Fliege. Um die Ecke kaufe ich ein Sixpack. Ich nehme mir den Stadtplan vor und fahre los.

Als ich in den Speedway Boulevard einbiege, verlangsame ich meine Fahrt. Ich kurbele das Fenster herunter und lege meinen Arm auf den Fensterrahmen. Ich schleiche mit 25 Stundenkilometern die vierspurige Straße entlang. Ich halte Ausschau. Suche mit den Augen den Gehweg ab. Schrottplätze, Table-Dance-Bars, Wohnsilos, Baubrachen. Kurze Zeit später beginnt es hinter mir zu hupen. Ein Mega-Truck hat Probleme zu bremsen und fährt beinahe auf mich auf. Ich fahre rechts ran und lasse ihn passieren. Ich reihe mich wieder in die Spur, in der Hoffnung, dass sich das Strassenbild ändert. Doch nichts. Fast-Food-Restaurants, Gebrauchtwagenhändler, Billig-Kreditinstitute, Einkaufszentren. Menschen sehe ich keine, junge Mädchen schon gar nicht. Mittlerweile hat das Wetter umgeschlagen, es nieselt, mich fröstelt. Die Stimmung könnte trostloser nicht sein.

Trotzdem fahre ich noch ein paar Mal den Speedway rauf und runter. Schließlich beende ich das Experiment. Ich fahre an den Straßenrand und bleibe einige Minuten im Wagen sitzen, mit laufendem Motor. Im Hintergrund erahne ich die Sonora-Wüste und den Drinking Spot. Ich sehe zu den Catalina-Bergen hinauf. Und mit jedem Blick, den ich auf die Bergen werfe, spüre ich, wie mein Plan unaufhörlich, Teil für Teil evaporiert. Ein Plan, den ich seit zwei Monaten entwickele und seitdem heimlich mit mir herumtrage. Bis nichts mehr davon übrig bleibt. Ich sehe in den Rückspiegel, finde meinen Aufzug lächerlich. Die Fliege, das selbstklebende Schönheitsmal, das Sixpack auf dem Beifahrersitz. Die kindliche Hoffnung und die unbegründete Erwartung, die ich bis eben noch in mir trug – verschwunden. Ich fühle mich einsam. Nackt. Mit einem Mal weiß ich nichts mehr. Nicht wohin, und nicht: wieso und warum. Ich stelle den Motor ab. Ich hasse. Und jetzt, langsam, werde ich aggressiv.

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Bruns zitterte. Es graute ihm vor Schmid. Nichts war mehr so wie früher. Plötzlich litt er in Schmids Gegenwart. Eigentlich wartete er nur auf die richtige Gelegenheit, um sich endgültig von ihm loszusagen.

Ein Monat nach der „Wüstenbestattung“ der beiden Schwestern sprach Schmid wieder über den neuen Mord. Er erkundigte sich nach Darlene. Bruns wurde es eiskalt. Tonlos antwortete er, dass sich Schmid zum Teufel scheren solle. Schmid zuckte innerlich zusammen. Doch er tat so, als ob er nicht bemerkt hätte, dass er seinen Bruder im Geiste wohl gerade verloren hatte, eine Vorstellung, die er kaum ertragen konnte. Stattdessen zwang er Bruns zu einem echten Freundschaftsbeweis. Wenn Bruns also ein wahrer Freund wäre, müsse er einen Nachweis dafür erbringen. Schmid sagte, hiermit verlange er von Bruns, es ihm gleich zu tun und ebenfalls jemanden umzubringen. Die Wahl seines Opfers stehe ihm frei.

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Das Bild einer Küche taucht auf. Es ist mitten in der Nacht, oder früh am Morgen. Es schneit heftig, dicke Flocken wehen ans Fenster. Draußen brennt eine Laterne. In der Küche stehen zwei Stühle. Einer ist besetzt. Ein junger Mann, ein ganz junger Mann, ein Teenager, fast noch ein Kind, sitzt dort und trinkt. Unheimlich viele leere Bierflaschen stehen um ihn herum.

Unheimlich, weil einem unheimlich schlecht werden kann von all dem Bier, das der junge Mann in sich hineinkippt. Er hat sich dafür nicht viel Zeit genommen, im Flur steht noch sein Koffer, unausgepackt. Das Logo der Airline klebt darauf, er kam von weither. Die alte Frau betritt ihre Küche.

3 Kommentare

  1. Großartig, sehr intensiv, als ich anfing zu lesen war ich sofort in der Geschichte drin, ich sah alles , hörte alles, fühlte alles.
    ich war (bin ) dabei. Grüße Manfred

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