Teil 3

Charles Schmid
Foto: Quelle unbekannt

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Zwei Jahre nachdem er das Turnen aufgegeben hatte, gründete Schmid mit drei Freunden eine Band. Schmid sang, spielte Gitarre und komponierte. Anfangs übten die vier in einem dunklen, muffigen Keller, später spielten sie auf Partys. Schmitty, wie seine Freunde ihn nun nannten, hatte aber derart große Angst mit der Musik öffentlich zu scheitern, dass er zuhause einen Song einübte und ihn anschließend aufnahm. Es kam vor, dass er ihn 15, 20 mal spielen musste, bis er die Aufnahme perfekt fand. Dann nahm er den Kassettenrecorder und versteckte ihn in seinem Verstärker. Wenn er irgendwo auftrat, startete er unbemerkt den Recorder, und da seine Stimme nicht schlecht war, hatte die Zuhörer den Eindruck, Smitty und seine Band wären extrem talentiert.

Elvis Presley war damals ein Superstar. Als ein Bandmitglied behauptete, Schmid habe Ähnlichkeit mit dem Star, begann er noch am selben Abend eine radikale Verwandlung. Eben noch blässlich und unscheinbar kleidete er sich nun in elegantem Schwarz. Er legte stark deckendes Make-up und einen cremefarbigen Lippenstift auf, malte sich einen Schönheitsfleck auf die Backe und färbte sich die Haare schwarz. So gestylt führte er sich auf, als ob nicht Presley der Rockstar wäre, sondern er. Er kopierte dessen typischen Blick aus leicht zusammengekniffenen Augen und, obwohl er ihn angeblich hasste, sang er dennoch Presleys Lieder nach. Wer diese nicht kannte, hielt Schmid für den Urheber der Hits. Die Konzertangebote häuften sich, die Band, die immer noch keinen Namen hatte, wurde zusehends populärer. Kurz vor dem regionalen Durchbruch gab Schmid die Musik wieder auf. Richie Bruns fragte ihn, was er nun tun wolle. „Nichts“, antwortete Schmid, „Bier trinken und keine Musik mehr spielen.“

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Richie Bruns hatte viele Monate im Gefängnis verbracht. Er war ein Kleinkrimineller, stahl, brach in Wohnungen ein, beging Raubüberfälle, mit und ohne Waffen. Auch Ende der 50er saß er wieder ein, weil er verdächtigt worden war, einen Schwulen umgebracht zu haben. Doch Bruns war kein Mörder, er war auch keiner, der seine Verbrechen aus Not beging. Er kam aus einer guten Familie und hatte einen Bruder, der zum Stolz seiner Eltern aufs Collage ging. Richies Eltern hätten nie behauptet, dass er ihnen jemals einen Grund gegeben häte, auch auf ihn stolz zu sein. Bruns war ein braver, unauffälliger Schüler gewesen, was die Eltern höchstens zur Kenntnis genommen hatten. Irgendwann beschloss Bruns aus einem Leben auszubrechen, in dem er kaum stattfand. Er wurde kriminell. Über sein Leben dachte er nun nach, während er darauf wartete, bis er endlich entlassen wurde. Denn es war schon längst erwiesen, dass es nicht Bruns war, der den Schwulen erschossen hatte. Wieder in Freiheit tat er genau das Gleiche wie vor seiner Verhaftung: Er trank, trieb sich in Spielhallen herum, hatte Sex. Laut eigener Aussage lebte er ein paradiesisches Leben, keiner verlangte Erklärungen von ihm, keiner fragte ihn, wo seine Eltern seien, oder auch nur, warum er nicht in die Schule ginge. Da war Bruns 15 Jahre alt.

Bruns lernte Schmid beim Trinken kennen. Schmid war überrascht und später erfreut von Bruns Geduld ihm gegenüber, über dessen Ruhe, mit der er seinen noch so absurden Philosophien lauschte. Bald merkte er auch, dass Bruns gerne jeden Unsinn mitmachte. Auch und gerade solchen, bei dem es um Leben und Tod ging. Für Bruns war Schmid nichts besonderes, nur jemand, der ein bisschen zu viel redete, aber ansonsten ganz okay war. Schmid und Bruns wurden beste Freunde. Vielleicht mochte Schmid an Bruns auch, dass der drei Jahre Jüngere ebenfalls tun konnte, was er wollte. Wie Schmid. Und wie dieser verlor auch Bruns langsam die Kontrolle über sein Leben.

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Ein Licht tut sich auf, genau vor mir, groß und hell, nimmt es mich ein. Es bietet Einlass in seinen gleißenden Kranz, bittet, ihm näher zu kommen. Ein schöne Stimme hat so ein Licht, denke ich, und bleibe sitzen. Eine schön gefährliche Stimme, wie es mich lockt und reizt mit dieser Stimme. Und bin ich nicht willig, so braucht es Gewalt. Das böse Licht. Ich kichere. Mal sehen, wozu Lichter so fähig sind. Ich schließe die Augen und sacke sofort ab. Wo eben noch Schweben war, ist jetzt harte Landung, anstelle des Lichts, kommt die Tiefe. Schnell und schwarz. Ich sehe, wie ich versuche aufzustehen und wegzurennen, wegrennen will. Doch etwas hält mich zurück. Lähmt mich. Die Stimme, denke ich, wo ist die Stimme bloß hin?

Fortsetzung folgt

© Christoph Brandl

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