Begegnung mit einem Mörder
Drinking Spot
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Teil 1
Charles Schmid beging seinen ersten Mord, als er 21 Jahre alt war. Sein Opfer war die 15-jährige Alleen Rowe, die Schmid kaum gekannt hatte. Mit einem Stein hatte er dem Mädchen den Schädel eingeschlagen und die Leiche am Tatort in der Wüste, etwas ausserhalb von Tucson, Arizona, liegengelassen. Der Ort nannte sich „Drinking Spot“ und lag am Fuße der Catalina Berge in der Sonora-Wüste. Das war am 31. Mai 1964. 15 Monate später brachte Schmid zwei weitere Mädchen um, Schwestern, im Alter von 13 und 17 Jahren, deren Leichen er ebenfalls am stadtbekannten „Drinking Spot“ verwesen ließ. Mit der Älteren, Gretchen Fritz, hatte er bis zu deren Tod eine intensive Liebesbeziehung geführt. Die Jüngere, Wendy, hatte das Pech, dass ihre Schwester sie am Abend ihres Todes zusammen mit Schmid ins Kino eingeladen hatte.
Die Morde an drei Mädchen innerhalb so kurzer Zeit spaltete die Stadt. Ein Teil der Bevölkerung war überzeugt, dass nur Charles Schmid als Mörder in Frage käme. Der andere Teil glaubte an seine Unschuld. In unzähligen Befragungen bestritt dieser jedoch jegliche Tatbeteiligung, und aus Mangel an Beweisen liess die Polizei ihn schließlich laufen. Es schien, als wären ihm drei perfekte Verbrechen gelungen.
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Im hinteren Winkel eines Antiquitätengeschäfts in Glasgow entdecke ich 1997 ein Buch mit dem Titel „Cold-Blooded“. Eine Staubschicht hat sich auf den Einband gelegt, und während ich sie beiseite wische, denke ich an das Buch: „In Cold Blood“, in dem Truman Capote eindringlich die Morde an einer vierköpfigen Farmersfamilie aus Kansas beschreibt. Das Buch, das ich in der Hand halte, besitzt ein ungewöhnliches Format. Es ist etwas kleiner als Din-A4 und auch ein bisschen breiter, so scheint es. (Es nennt sich im Untertitel: „Die Saga von Charles Schmid, dem bekannten Rattenfänger von Tucson“.) Oben auf dem Cover steht ein Zitat der New York Times: „Dies ist die Geschichte eines Schattenlebens, eine Story von Tod und Sühne, aufschlussreich, schockierend und verwirrend.“ Unter dem Zitat ist das Brustfoto eines Mannes im Halbprofil zu sehen. Der Mann, der einen Anzug trägt und vor einem sanft-roten Hintergrund steht, schaut dem Betrachter ernst aber selbstbewusst in die Augen. Bei genauem Hinsehen erkenne ich in seinem Blick etwas spöttisches, herablassendes.
Die leichte Aufsicht des Fotos verstärkt diesen Eindruck: Der Mann wirkt anmaßend und arrogant, wie jemand, der weiß, dass man ihm nichts anhaben kann. Irgendwie erinnert er mich an einen berühmten amerikanischen Schauspieler, der für die Rolle eines Schurken einen Oscar gewonnen hat. Jetzt bemerke ich, dass die Lippen des Mannes den Hauch eines Kussmundes andeuten, wodurch sein Gesicht weicher erscheint. Außerdem hat er seine Stirn ein bisschen in Falten gelegt, was ihn zwar nicht sympathischer macht, aber irgendwie menschlich. Er sieht plötzlich aus, als ob er sich seiner Sache doch nicht so sicher wäre. Dieser Zwiespalt in seinem Äußeren verwirrt mich. Einerseits halte ich den Mann für einen blasierten Clown, andererseits finde ich ihn interessant. Ich kann Charles Schmid auch nach längerer Betrachtung seines Fotos nicht greifen. Die Unbegreiflichkeit macht mich neugierig.
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Teil 2
Seit früher Kindheit stand Charles Schmid im Rampenlicht. Als kleiner Junge hatte er sich einen Sport gesucht, der von ihm Mut und Verwegenheit verlangte – und ihm gleichzeitig hohe Anerkennung garantierte. Mit Leidenschaft und Ausdauer hatte er es in kurzer Zeit am Stufenbarren und am Schwebebalken zu erstaunlichem Erfolg gebracht. Am Barren strotzten seine Übungen vor Kraftelementen, er konnte hoch in der Luft an einem beliebigen Punkt einfach innehalte, als ob für ihn die Schwerkraft aufgehoben wäre. An der Eisenstange gelangen ihm Auf- und Abschwünge aus Vorwärts- wie Rückwärtsbewegungen heraus, ganz nach Belieben. Dabei flog er über die Reckstange wie ein kleiner Vogel, und wie dieser in der Luft wechselte auch Schmid die Richtung seines Fluges völlig ansatzlos. Sein fehlerfreier Vortrag, selbst bei den schwierigsten und gewagtesten Übungen, zu schweben, in der Luft zu tanzen und dort Purzelbäume zu schlagen, glich reiner Magie.
Doch es war kein Zauber, der ihn reüssieren liess. Es war Angstfreiheit, die ihn in immer neue Höhen trieb. Er besass einen Mut und ein Draufgängertum, das ihn von allen Anderen seiner Altersklasse unterschied. Dazu besaß er solche Muskeln an seinem kleinen Körper, die es ihm leicht machten, Salti rückwärts wie vorwärts, gestreckt wie gehockt, zu fliegen und zu stehen. Aber auch die Vorfreude auf den Applaus gaben ihm den nötigen Kick, sich kopfüber vom Barren in Richtung Erde zu stürzen. Nach einem wieder einmal geglückten Abgang toste die Halle, die Zuschauer johlten vor Verzückung im Angesicht der Gefahr, der sich der junge Schmid aussetzte. Und der, so kam es ihnen vor, ganz cool und souverän, dankte ihnen die Anerkennung mit einer Zugabe, in der er die Schwierigkeit seiner Übung unaufwändig zu steigern vermochte.
Nach drei aufeinanderfolgende Landesmeisterschaften war er der erfolgreichste Jungturner, den es in Arizona je gegeben hatte. Vor oder nach seinem Tod. Die Zukunft für den Ausnahmesportler leuchtete hellrosa. Ausscheidungsturniere für Weltmeisterschaften und Olympische Spiele waren die nächsten Schritte in Schmids Karriere. Erste Plätze, Goldmedaillen, Weltrekorde standen ihm zur freien Auswahl. Eigentlich. Doch je mehr die Menschen ihn verehrten, je höher Presse und Fernsehen ihn ins Rampenlicht hievten, desto unzufriedener wurde er. Seine eigenen Erfolge begannen ihn zu langweilen. Irgendwann lachte er den Leuten ins Gesicht, die ihn frenetisch anfeuerten, förderten und unterstützten. Immer öfter schwänzte er das Training. Dann gab er den Sport auf. Da war er 14 Jahre alt.
Ich bin in Glasgow, um ein Konzert mit Neil Diamond zu filmen. Nach dem Konzert gibt es ein „Meet und Greet“, die Gelegenheit, den Sänger kennenzulernen. Am folgenden Tag findet ein Interview statt. Zurück in Berlin schneide ich das Material, am Abend wird ein dreiminütiger Beitrag im Fernsehen ausgestrahlt. Kurz darauf ist alles wieder vergessen. Es ist, als ob die Begegnung in Glasgow nie stattgefunden hätte. Ich bin bereits beim nächsten Prominenten, irgendwo anders auf der Welt. Das Interview mit dem amerikanischen Sänger ist das 100. oder 200. in den letzten 12 Monaten. Ich weiß es nicht, ich habe den Überblick verloren. Mein Leben strengt mich an, meine sozialen Kontakte leiden unter meinen ständigen Reisen. Es gibt Tage, da weiss ich morgens nicht, wo ich abends sein werde, und abends nicht, wo ich gerade bin. Paris, Madrid, oder doch auf dem Weg nach New York oder Miami.
Vor einem Jahr bin ich aus dem Ausland nach Berlin zurückgekommen. Zehn Jahre habe ich hier nicht mehr gelebt, eigentlich bräuchte ich eine Phase der Findung und der Besinnung auf mich und mein neues Leben. Stattdessen jette ich wie irre um die Welt, um Promis zu filmen und sie zu interviewen, um sie kennenzulernen, ihnen mit meinen Fragen und Gedanken gerecht zu werden, wofür ich viel Energie aufbringe. Das kostet Kraft. Ich fühle mich leer und einsam. Ich spüre, ich verliere meine Ziele und meine Bedürfnis aus den Augen: zu finden, nicht länger zu suchen. Manchmal wäre ich gerne selbst ein Star, möchte gefragt und bekümmert werden. Auch frage ich mich, warum es in meinem Leben keine Liebe gibt. Ich beneide Charles Schmid, dem alles und alle zufliegen, der einen Überfluss an Leben hat. Und an Liebe.
Ich schwebe. Ich springe von Stein zu Stein, hangele mich von Wasserlilie zu Wasserlilie. Ich bin klein, die Wiesenblumen groß, die Laubbäume gigantisch. Ich höre einen Dudelsack und Flöten und springe nach einem Luftballon, der mir zufliegt. Blätter rieseln zu Boden. Ich hüpfe, nein, ich tänzele, wie ein Frühlingslüftchen und spiele mit den Blättern. Ich schwebe wieder. Gelange auf den Gipfel eines kleinen Berges, bin alleine und bin ausser Puste. Die Kletterei raubt mir die Atemluft. Ich halte inne, bleibe stehen.
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Foto: Quelle unbekannt
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Teil 3
Zwei Jahre nachdem er das Turnen aufgegeben hatte, gründete Schmid mit drei Freunden eine Band. Schmid sang, spielte Gitarre und komponierte. Anfangs übten die vier in einem dunklen, muffigen Keller, später spielten sie auf Partys. Schmitty, wie seine Freunde ihn nun nannten, hatte aber derart große Angst mit der Musik öffentlich zu scheitern, dass er zuhause einen Song einübte und ihn anschließend aufnahm. Es kam vor, dass er ihn 15, 20 mal spielen musste, bis er die Aufnahme perfekt fand. Dann nahm er den Kassettenrecorder und versteckte ihn in seinem Verstärker. Wenn er irgendwo auftrat, startete er unbemerkt den Recorder, und da seine Stimme nicht schlecht war, hatte die Zuhörer den Eindruck, Smitty und seine Band wären extrem talentiert.
Elvis Presley war damals ein Superstar. Als ein Bandmitglied behauptete, Schmid habe Ähnlichkeit mit dem Star, begann er noch am selben Abend eine radikale Verwandlung. Eben noch blässlich und unscheinbar kleidete er sich nun in elegantem Schwarz. Er legte stark deckendes Make-up und einen cremefarbigen Lippenstift auf, malte sich einen Schönheitsfleck auf die Backe und färbte sich die Haare schwarz. So gestylt führte er sich auf, als ob nicht Presley der Rockstar wäre, sondern er. Er kopierte dessen typischen Blick aus leicht zusammengekniffenen Augen und, obwohl er ihn angeblich hasste, sang er dennoch Presleys Lieder nach. Wer diese nicht kannte, hielt Schmid für den Urheber der Hits. Die Konzertangebote häuften sich, die Band, die immer noch keinen Namen hatte, wurde zusehends populärer. Kurz vor dem regionalen Durchbruch gab Schmid die Musik wieder auf. Richie Bruns fragte ihn, was er nun tun wolle. „Nichts“, antwortete Schmid, „Bier trinken und keine Musik mehr spielen.“
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Richie Bruns hatte viele Monate im Gefängnis verbracht. Er war ein Kleinkrimineller, stahl, brach in Wohnungen ein, beging Raubüberfälle, mit und ohne Waffen. Auch Ende der 50er saß er wieder ein, weil er verdächtigt worden war, einen Schwulen umgebracht zu haben. Doch Bruns war kein Mörder, er war auch keiner, der seine Verbrechen aus Not beging. Er kam aus einer guten Familie und hatte einen Bruder, der zum Stolz seiner Eltern aufs College ging. Richies Eltern hätten nie behauptet, dass er ihnen jemals einen Grund gegeben häte, auch auf ihn stolz zu sein. Bruns war ein braver, unauffälliger Schüler gewesen, was die Eltern höchstens zur Kenntnis genommen hatten. Irgendwann beschloss Bruns aus einem Leben auszubrechen, in dem er kaum stattfand. Er wurde kriminell. Über sein Leben dachte er nun nach, während er darauf wartete, bis er endlich entlassen wurde. Denn es war schon längst erwiesen, dass es nicht Bruns war, der den Schwulen erschossen hatte. Wieder in Freiheit tat er genau das Gleiche wie vor seiner Verhaftung: Er trank, trieb sich in Spielhallen herum, hatte Sex. Laut eigener Aussage lebte er ein paradiesisches Leben, keiner verlangte Erklärungen von ihm, keiner fragte ihn, wo seine Eltern seien, oder auch nur, warum er nicht in die Schule ginge. Da war Bruns 15 Jahre alt.
Bruns lernte Schmid beim Trinken kennen. Schmid war überrascht und später erfreut von Bruns Geduld ihm gegenüber, über dessen Ruhe, mit der er seinen noch so absurden Philosophien lauschte. Bald merkte er auch, dass Bruns gerne jeden Unsinn mitmachte. Auch und gerade solchen, bei dem es um Leben und Tod ging. Für Bruns war Schmid nichts besonderes, nur jemand, der ein bisschen zu viel redete, aber ansonsten ganz okay war. Schmid und Bruns wurden beste Freunde. Vielleicht mochte Schmid an Bruns auch, dass der drei Jahre Jüngere ebenfalls tun konnte, was er wollte. Wie Schmid. Und wie dieser verlor auch Bruns langsam die Kontrolle über sein Leben.
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Ein Licht tut sich auf, genau vor mir, groß und hell, nimmt es mich ein. Es bietet Einlass in seinen gleißenden Kranz, bittet, ihm näher zu kommen. Ein schöne Stimme hat so ein Licht, denke ich, und bleibe sitzen. Eine schön gefährliche Stimme, wie es mich lockt und reizt mit dieser Stimme. Und bin ich nicht willig, so braucht es Gewalt. Das böse Licht. Ich kichere. Mal sehen, wozu Lichter so fähig sind. Ich schließe die Augen und sacke sofort ab. Wo eben noch Schweben war, ist jetzt harte Landung, anstelle des Lichts, kommt die Tiefe. Schnell und schwarz. Ich sehe, wie ich versuche aufzustehen und wegzurennen, wegrennen will. Doch etwas hält mich zurück. Lähmt mich. Die Stimme, denke ich, wo ist die Stimme bloß hin?
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Teil 4
Einen Großteil seiner Zeit verbrachte Schmid damit, Auto zu fahren und dabei Mädchen zu „jagen“. Wie ein Jäger lockte er seine Beute an, um sie dann zu erlegen. Geduldig cruiste er manchmal stundenlang in seinem goldfarbenen Ford Falcon den Speedway Boulevard rauf und wieder runter, rauf und runter, rauf und runter. Beim Fahren in Schrittgeschwindigkeit hielt er den angewinkelten Arm aus dem Fenster, während er die Gehwege der breiten Strasse aufmerksam beobachtete. Wenn er ein junges Mädchen sah, lud er es ohne Umschweife zum „Drinking Spot“ ein. Das Mädchen wußte, was es dort erwartete, und oft hatte Schmid den Eindruck, dass es froh war, endlich „an der Reihe“ zu sein. Selten jedenfalls schlug ein Mädchen seine Einladung aus. Im Gegenteil. Es war glücklich, durch Schmid den langweiligen Plätzen vor den Hamburgerrestaurants und Spielhallen der Stadt entkommen zu sein. Dort hinein gelangte man erst ab 21 Jahren, Alkohol bekam man ebenfalls erst volljährig. Während überall in den Großstädten der USA das Leben in den wilden 60ern gelebt wurde, hingen in Tucson viele Jugendlichen untätig vor den Spielhallen ab. Nur für diejenigen, die Autos hatten, gab es ein wenig Abwechslung. Die fuhren hinaus in die Wüste, tranken Alkohol und hatten Sex, wofür der Drinking Spot dank seiner abgelegenen Lage ideal war.
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Charles Schmid hatte Witz und Esprit. Schon als Teenager sprach er mit einer phantasievollen, fast poetischen Sprache, redete und verhielt sich wie ein „real charmer“. Je nach Situation und Wesen des Mädchens, mit dem er gerade zusammen war, hauchte er mal mit den Worten eines leidenden Künstlers, mal polterte er kämpferisch wie ein Rebell. Dann wiederum feierte er in leidenschaftlichen Reden sich und seine Errungenschaften. Doch gleich darauf bemitleidete er sein Schicksal und die tödliche Krankheit, die ihn vor kurzem befallen hatte. In zwei Monaten würde er sterben, so viel stünde fest.
Wenn ein Mädchen noch nicht ganz überzeugt war, dass allein Sex mit Schmid zu Erlösung führen würde, weinte er herzerweichend und gestand ihr unter Tränen, dass sie, die gerade vor ihm saß, das schönste, sinnlichste und klügste Geschöpf sei, das er je gesehen hatte – und zog ihr dabei den Pulli aus. Doch im gleichen Maße, in dem er seine eigenen Erfolge genoss, verfluchte er sie auch. Je mehr Mädchen er eroberte, desto sicherer war er, überhaupt nicht lieben zu können. Und er erkannte genau, was er tat: eine Show abziehen. Behalten wollte er seine Eroberungen dennoch, jede Einzelne von ihnen. Die Angst, ein Mädchen wieder zu verlieren, brachte ihn dazu, mehreren gleichzeitig Heirat, Kinder und ein eigenes Haus zu versprechen. Die eigene, heile Familie war sein größter Wunsch.
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Ich will schlafen.
Klicke hier: Motel „Tucson Inn“, Schlafkoje
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Teil 5
Zwei Monate nach dem Neil Diamond-Konzert in Glasgow sitze ich im Flugzeug von Paris nach Los Angeles. Es ist bereits meine dritte Reise an die amerikanische Westküste innerhalb der letzten 14 Tage. Doch diesmal wird mein Aufenthalt nicht nur eine Nacht dauern, diesmal werde ich eine ganze Woche unterwegs sein. Bei der Immigrationsbehörde gebe ich als Grund für meine Einreise: „Besuch bei einem Freund“ an. Nur aus Spaß, auch wenn sich die „Beziehung“ zu Charles Schmid wirklich wie die zu einem Freund anfühlt. So vertraut bin mit ihm und seinem kurzen, heftigen Leben mittlerweile.
Kurze Zeit später sitze ich in einem Cabrio, das ich mir am Flughafen gemietet habe. Es ist ein sonniger Morgen in Kalifornien, und ich genieße das offene Verdeck, den Fahrtwind, die breiten Highways, die um diese Uhrzeit frei von Staus sind. In Berlin weiß niemand, wo ich bin, ich fühle mich wie ein Ausbrecher, dem es gelungen ist, alle Spuren zu verwischen.
Ich fahre ohne Straßenkarte, folge nur meinem Instinkt, weiß nicht einmal, wie lange die Fahrt dauern wird. Ich muss Richtung Osten fahren, das ist klar, und die Abzweigung nach Las Vegas, die gerade vor mir auftaucht, ist falsch. Das ist ebenso klar. Also fahre ich geradeaus weiter. Die Strecke ist seit geraumer Zeit einsam, bis zum Horizont besteht die Landschaft aus karger, eintöniger Wüste. Kaum ein Fahrzeug ist zu sehen. Irgendwann erreiche ich Phoenix und denke kurz darüber nach, meine Reise hier zu unterbrechen. Doch dann sehe ich einen Wegweiser: Tucson 160 Meilen. Ich bin elektrisiert und beschließe, den Höhepunkt meiner Reise auf keinen Fall länger hinauszuzögern. Ich biege ab.
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Spannung entsteht, tief in mir. Einerseits fühle ich mich unbeschwert, habe das Gefühl, der nächste Windstoß wird mich hoch in die Luft wehen. Der andere, größere Teil von mir möchte weg. So schnell wie möglich. Diesem Teil ist schlecht, er übergibt sich. Legt sich ins Gras. Der andere hingegen, der feiert und freut sich, der lacht und flötet und wundert sich über all die Gesellschaft, die Leute, lauter junge Leute, junge Mädchen, die von allen Seiten auf ihn zuströmen. Er tanzt, hebt die Mädchen hoch, wirbelt sie durch die Luft, läßt sie los und fängt sie wieder auf. Er küsst und umarmt sie und flüstert ihnen schmutzige Dinge ins Ohr. Oh, das Leben ist wunderbar.
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Als ich in Tucson ankomme, ist es Nacht. Die Fahrt hatte 10 Stunden gedauert, mittlerweile bin ich 24 Stunden unterwegs. Ich bin müde und beschließe, ins erstbeste Hotel einzuchecken. Ich kurve ein bisschen herum und halte an der nächsten Ecke vor dem „Tucson Inn“, einem Motel, das mich mit den grell erleuchteten Buchstaben seines Namens in den Bann zieht. Irgendwie wirkt es auf mich vertraut, ich meine es aus vielen amerikanischen Roadmovies zu kennen. Als der alte Mann an der Rezeption nicht einmal meinen Ausweis und auch sonst keine Sicherheit zurückbehält, fühle ich mich augenblicklich heimisch.
Ich parke meinen Wagen direkt vor dem Hotelzimmer und lasse mich Augenblicke später aufs Bett fallen. Wie wunderbar bequem dieses Land doch ist, vom Auto ins Bett. Was hatte ich eigentlich gegen Amerika, als ich noch hier wohnte? Bevor ich das Licht ausschalte, werfe ich noch einen Blick in meine Aufzeichnungen über Schmid – und erstarre. Das Haus, das er bewohnte, „Smitty’s small house“, wie seine Freunde es oft nannten, in dem er rauschende Feste feierte – und in dem er die beiden Schwestern tötete, liegt in unmittelbarer Nachbarschaft. Nur wenige Blocks entfernt.
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Tucson aus der Luft
Foto: © NASA
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Teil 6
Ich bin plötzlich müde, habe das Gefühl, dass sich meine Glieder verselbständigen, als gehörten sie nicht mehr zu mir. Mein Arm schwingt neben meinem Körper auf endlosen Bahnen, stoppen kann ich seine Bewegungen nicht. Meine Beine hören auf, dem Befehl meines Gehirns zu folgen, ich klappe zusammen, falle auf Stein und Geröll, mein Kopf schlägt auf und beginnt an der Stirn zu bluten. Ich weiss, der Sturz muss weh getan haben, ich spüre es nicht. Im Liegen drehe ich mich herum, oder dreht sich die Welt um mich? Mein Kopf dreht sich jedenfalls am schnellsten, das ist sicher. Ich sehe, wie ich mit zwei Blicken in die entgegengesetzte Richtung schaue, einer schaut nach vorne, einer zurück. Als ob ich sehen könnte, was gestern war und morgen sein wird. Zwei Köpfe, zwei Herzen, zwei Wesen. So fühlt es sich an.
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Fotos: unbekannt, Polizei
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Teil 7
Schmid hatte ein Problem, das er nicht annähernd in den Griff bekam: Er mass lediglich 1 Meter 65. Das Problem der geringen Körpergröße war so groß, dass er einen gehörigen Aufwand betrieb, um es zu verbergen. Seinen Wagen verliess er tagsüber fast nie. Wenn er Dates hatte, kam er Stunden früher zum Treffpunkt und blieb die ganze Zeit über sitzen. Nachts, wenn ihn keiner sehen konnte, flüchtete er sich oft alleine in die Wüste, trank Bier und hasste sich.
Am wohlsten fühlte er sich bei den alten Menschen im Seniorenheim seiner Eltern, in dem er oft aushalf. Einen Trost hatte er immerhin. Im Bett hatte es noch keine seiner Liebhaberinnen gestört, dass er so klein war. Mit zunehmendem Erfolg wurden ausgerechnet die Bühnenauftritte zu einem Greul. Denn als Leader einer Band musste er selbstverständlich stehen und zwar mitten im Scheinwerferlicht. Und weder gefaltete Cola-Dosen, die er in seine Schuhe legte, und die seine Fußsohlen bei jedem Schritt höllisch schmerzten, so dass er eine Schicht Lumpen darüber legen musste, noch die hochhackigen Stiefel, die ihn oft über seine eigenen Füße stolpern liessen, konnten darüber hinweg täuschen:
Er war klein.
Wegen seines stark bearbeiteten Schuhwerks bewegte er sich derart ungeschickt, dass sich die Konzertbesucher über die vermeintliche Showeinlage köstlich amüsierten. Sie lachten laut, wenn er auf der Bühne torkelte und stolperte, als ob er sturzbetrunken wäre. Irgendwann bemerkten sie, dass es keine Absicht war, woraufhin viele mit Schadenfreude reagierten. Erst angehimmelt, dann angestarrt und schließlich ausgelacht. So ging es bei jedem Konzert. Schließlich gestand Smitty seinem Freund Bruns, dass es ihn sowieso nie richtig interessiert hätte, in einer Band zu spielen. Er hätte lediglich der Welt beweisen wollen, dass er es konnte.
Und noch ein Problem plagte Schmid: Nach einem Streit mit seinem Vater hatte ihm seine Großmutter verraten, dass er nicht das leibliche Kind seiner Eltern sei. Schmid seufzte. Diese Nachricht hatte für ihn etwas erleichterndes. Plötzlich wusste er, warum er sich in seiner eigenen Familie häufig so fremd und verloren vorkam, warum seine Eltern sich aus allen Dingen, die sein Leben betrafen, und die ihm manchmal große Probleme bereiteten, heraushielten. Sie konnten ihn gar nicht lieben, er war ja nicht ihr leiblicher Sohn. Nach dem Geständnis der Großmutter war er richtiggehend froh. Er merkte, was ihm die ganzen Jahre über gefehlt hatte: die Liebe seiner Mutter.
Er recherchierte ihre Adresse und beschloss, sie gegen den Willen seiner Adoptiveltern aufzusuchen. Diese hatten nichts gegen Schmids Besuch bei seiner Mutter, das war es nicht. Sie befürchteten nur, dass ihn die Begegnung in ein Jammertal stürzen würde. Schließlich hatten sie seine Mutter kennengelernt, die ihn mit 16 unverheiratet geboren und ohne ein Gefühl zu zeigen zur Adoption frei gegeben hatte. Schmid jedoch ignorierte die Warnung. Er war geradezu euphorisch über den bevorstehenden Besuch. Doch als er seiner Mutter eines Tages gegenüber trat, reagierte die immer noch junge Frau schroff und kalt. Sie sagte: „Ich wollte dich damals nicht, und ich will dich heute erst Recht nicht. Verschwinde dahin, wo du hergekommen bist!“
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Smitty hielt Alleen fest. Er hob einen Stein vom Wüstenboden auf und übergab ihn John. Dieser gab ihn zurück, nicht in der Lage, den Plan durchzuziehen. Smitty bestand darauf, dass er zum Wagen ging und Mary dazu holte. Mary weigerte sich mitzukommen, so kehrte John allein zu Smitty zurück. Dort, am Drinking Spot, sah er, dass Alleen rücklings auf dem Boden lag. Gesicht und Körper waren blutüberströmt. Das Mädchen war nackt. Smitty’s Hände waren blutig, Blut war auch auf seinem Hemd. Smitty wollte wissen, wo Mary war, und als John es ihm sagte, ging Smitty selbst zum Auto. „Wir haben sie getötet“, sagte er und fügte hinzu: „Ich liebe dich sehr.“ Mary fand, er war sehr aufgeregt.
Mary begleitete Smitty zurück an den Tatort. Sie sah Alleen, konnte allerdings nicht erkennen, ob das Mädchen noch am Leben war. Smitty gab John die Schaufel und verlangte, dass er ein Grab schaufelte. Zögerlich begann John zu graben. Der Wüstensand war jedoch zu hart, um eine tiefe Grube auszuheben, und so warfen die drei lediglich ein wenig Sand auf Alleens Körper und legten ihr Kleid und ihre Lockenwickler in das halbfertige Grab. Smitty zog sein Hemd aus und vergrub es ebenfalls im Sand. Nachdem sie sicher waren, alle Beweise für die Tat vernichtet zu haben, gingen sie zurück zum Auto und fuhren in die Stadt. Sie erfanden eine Geschichte – Alleen wollte am Abend mit John ausgehen, aber als er kam, um sie zu holen, war sie nicht da – dann fuhren sie nachhause.
1964 1988 2013
Klicke hier: Smittys kleines Haus, seine Hochzeit, seine Verhaftung
Fotos: Polizei, unbekannt, unbekannt
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Teil 8
Bruns mochte Schmid. Zwar fand er seine Maskerade absurd, gleichzeitig konnte aber auch er sich Schmids Versprechen auf Leben und Abenteuer nicht entziehen. Und er mochte es, wenn Schmid leidenschaftliche Reden schwang, wenn er fabulierte und phantasierte. Und wenn er philosophierte. Auch wenn er nicht alles verstand, worüber Schmid sprach, lauschte er oft mit offenem Mund. Die Beiden verbrachten viel Zeit miteinander, tranken Bier oder saßen einfach herum, hauptsächlich nachts, in Schmids Auto.
Eines abends, Schmid hatte seinen Wagen gerade am Drinking Spot abgestellt, forderte er Bruns auf, aus dem Auto zu steigen. Er verlangte, dass ihm Bruns mehrere hundert Meter in ein abgelegenes Tal folgte. Dort angekommen zeigte Schmid auf ein paar Knochen, die dort verstreut herumlagen. Er gestand Bruns, dass dies die Leichen der beiden vermissten Schwestern seien und zwang ihn, die Knochenreste zu beerdigen. Mitten in der Wüste. Bruns zitterte am ganzen Körper, unfähig, sich zu bewegen.
Schmid redete auf ihn ein. Er machte ihm klar, dass er keine andere Wahl hatte, als zu gehorchen. Bruns rannte weg, doch Schmid holte ihn wieder ein. „Mitgehangen, mitgefangen“, sagte er. Bruns habe keine Wahl, sonst geschehe das Gleiche mit ihm. Bruns nahm langsam den mitgebrachten Spaten und buddelte mühsam zwei tiefe Löcher in den Wüstenboden. Stumm warf er die Knochen hinein.
Nach der „Beerdigung“ gab ihm Schmid die Hand und gratulierte ihm. Bruns sei jetzt Täter, wie er. Als Beweis seiner Freundschaft erzählte ihm Schmid von einem weiteren Mord, von dem übrigens niemand etwas wisse, denn sein Opfer, ein kleiner Junge, sei nie als vermisst gemeldet worden. Schmid sagte, er habe dem Toten die Hände abgeschnitten und sie nicht weit von hier abgelegt. Somit sei Bruns auch in diesem Fall Mittäter. Schließlich gestand Schmid dem geschockten Bruns ein Letztes: Er, Schmid, wollte einen weiteren Mord begehen. Und dafür suchte er ein Opfer, ein Mädchen. Seine Wahl sei auf Darlene gefallen, Bruns’ Ex-Freundin.
Endlich kommt der Schlaf.
Draußen ist es heiß, die jungen Mädchen tanzen noch immer, allerdings sind es weniger geworden, bedeutend weniger. Vielleicht noch fünf oder sechs sind geblieben. Der junge Mann hat aufgehört, die Mädchen in die Luft zu werfen. Er verharrt in seiner Bewegung, der Kussmund, dem er einem der Mädchen zugeworfen hatte, gefriert auf seinem Gesicht. Er steht still und schaut. In seinem Blick liegt etwas spöttisches. Er erfasst eine Polizistin, die den Jüngling am Arm führt, dann den Jüngling selbst. Er scheint ihn von irgendwoher zu kennen – und scheint seiner Sache doch nicht sicher zu sein.
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Klicke hier: Schmids Gefängnis-Tagebuch, plus original Zeichnung
Foto: Polizei
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Teil 9
Als ich aufwache, bin ich völlig übermüdet. Es ist früh, 6 Uhr, ich will noch etwas schlafen. Es geht nicht. Der Jetlag. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und stehe auf. Ich ziehe mir den schwarzen Anzug an, den ich extra für diesen Zweck mitgenommen habe. Er ist etwas zerknittert, aber noch tragbar. Ich erwäge kurz, eine Krawatte umzubinden, entscheide mich dann aber für eine Fliege. Um die Ecke kaufe ich ein Sixpack. Ich nehme mir den Stadtplan vor und fahre los.
Als ich in den Speedway Boulevard einbiege, verlangsame ich meine Fahrt. Ich kurbele das Fenster herunter und lege meinen Arm auf den Fensterrahmen. Ich schleiche mit 25 Stundenkilometern die vierspurige Straße entlang. Ich halte Ausschau. Suche mit den Augen den Gehweg ab. Schrottplätze, Table-Dance-Bars, Wohnsilos, Baubrachen. Kurze Zeit später beginnt es hinter mir zu hupen. Ein Mega-Truck hat Probleme zu bremsen und fährt beinahe auf mich auf. Ich fahre rechts ran und lasse ihn passieren. Ich reihe mich wieder in die Spur, in der Hoffnung, dass sich das Strassenbild ändert. Doch nichts. Fast-Food-Restaurants, Gebrauchtwagenhändler, Billig-Kreditinstitute, Einkaufszentren. Menschen sehe ich keine, junge Mädchen schon gar nicht. Mittlerweile hat das Wetter umgeschlagen, es nieselt, mich fröstelt. Die Stimmung könnte trostloser nicht sein.
Trotzdem fahre ich noch ein paar Mal den Speedway rauf und runter. Schließlich beende ich das Experiment. Ich fahre an den Straßenrand und bleibe einige Minuten im Wagen sitzen, mit laufendem Motor. Im Hintergrund erahne ich die Sonora-Wüste und den Drinking Spot. Ich sehe zu den Catalina-Bergen hinauf. Und mit jedem Blick, den ich auf die Bergen werfe, spüre ich, wie mein Plan unaufhörlich, Teil für Teil evaporiert. Ein Plan, den ich seit zwei Monaten entwickele und seitdem heimlich mit mir herumtrage. Bis nichts mehr davon übrig bleibt. Ich sehe in den Rückspiegel, finde meinen Aufzug lächerlich. Die Fliege, das selbstklebende Schönheitsmal, das Sixpack auf dem Beifahrersitz. Die kindliche Hoffnung und die unbegründete Erwartung, die ich bis eben noch in mir trug – verschwunden. Ich fühle mich einsam. Nackt. Mit einem Mal weiß ich nichts mehr. Nicht wohin, und nicht: wieso und warum. Ich stelle den Motor ab. Ich hasse. Und jetzt, langsam, werde ich aggressiv.
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Bruns zitterte. Es graute ihm vor Schmid. Nichts war mehr so wie früher. Plötzlich litt er in Schmids Gegenwart. Eigentlich wartete er nur auf die richtige Gelegenheit, um sich endgültig von ihm loszusagen.
Ein Monat nach der „Wüstenbestattung“ der beiden Schwestern sprach Schmid wieder über den neuen Mord. Er erkundigte sich nach Darlene. Bruns wurde es eiskalt. Tonlos antwortete er, dass sich Schmid zum Teufel scheren solle. Schmid zuckte innerlich zusammen. Doch er tat so, als ob er nicht bemerkt hätte, dass er seinen Bruder im Geiste wohl gerade verloren hatte, eine Vorstellung, die er kaum ertragen konnte. Stattdessen zwang er Bruns zu einem echten Freundschaftsbeweis. Wenn Bruns also ein wahrer Freund wäre, müsse er einen Nachweis dafür erbringen. Schmid sagte, hiermit verlange er von Bruns, es ihm gleich zu tun und ebenfalls jemanden umzubringen. Die Wahl seines Opfers stehe ihm frei.
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Das Bild einer Küche taucht auf. Es ist mitten in der Nacht, oder früh am Morgen. Es schneit heftig, dicke Flocken wehen ans Fenster. Draußen brennt eine Laterne. In der Küche stehen zwei Stühle. Einer ist besetzt. Ein junger Mann, ein ganz junger Mann, ein Teenager, fast noch ein Kind, sitzt dort und trinkt. Unheimlich viele leere Bierflaschen stehen um ihn herum. Unheimlich, weil einem unheimlich schlecht werden kann von all dem Bier, das der junge Mann in sich hineinkippt. Er hat sich dafür nicht viel Zeit genommen, im Flur steht noch sein Koffer, unausgepackt. Das Logo der Airline klebt darauf, er kam von weither. Die alte Frau betritt ihre Küche.
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Foto: Polizei
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Teil 10
Bruns wurde nicht müde, Schmid vorzuhalten, dass er es mit den Mädchen zu weit trieb. Oft hatte er nämlich beobachtet, dass dieser Beziehungen beendete, sobald sich ein Mädchen in ihn verliebt hatte. Besonders mitgenommen hatte Bruns Schmids kurze Beziehung zu Darlene Kirk, der hübschen Tochter eines Briefträgers. Darlene war verliebt in Schmid, und dieser hatte ihr einen Verlobungsring geschenkt – doch zum Drinking Spot fuhr er mit einer anderen. Darlene warf Schmid den Ring ins Gesicht, und wieder einmal endete eine einseitige Liebesbeziehung abrupt.
Tagelang schloss sich Darlene in ihrem Zimmer ein. Kein Wort konnte sie trösten, kein Geschenk umstimmen. Bruns litt wie ein Hund, als ihm das Ausmass von Darlenes Trauer über die Trennung von Schmid klar wurde. Und da geschah etwas mit Bruns. Er, der Trinker, der Herumtreiber und Tunichtgut, der klaute, raubte und keine Schlägerei ausließ, der sich außerhalb der Gesellschaft scheinbar am wohlsten fühlte, entdeckte eine neue Charaktereigenschaft an sich: die Fähigkeit zu lieben. Er liebte die zerbrechliche Darlene, die so schutzlos war und einen starken Kerl an ihrer Seite so nötig hatte. Er wollte dieser Kerl sein – und sagte sich mit einem Mal von einem Leben als Kleinverbrecher los.
Er beschloss, Darlene keine Minute mehr aus den Augen zu lassen. Darlene freute sich über seine Zuneigung, vorübergehend nahm sie Bruns sogar zum Liebhaber. Da glaubte er sich am Ziel. Doch Darlene war nach wie vor in Schmid verliebt und fand Bruns merkwürdig. Nach kurzer Zeit trennte sie sich von ihm und liess ihn mit blutendem Herzen und völlig verzweifelt zurück. Erst tobte er, dann bettelte er, ihn zurück zu nehmen. Darlene blieb hart.
Bruns‘ Leben bekam plötzlich einen Sinn: Darlene zurückzugewinnen wurde sein Ziel. Er schrieb ihr glühende Liebesbriefe, komponierte Songs, begann sogar ein Buch über seine Liebe zu ihr zu schreiben.
In dem Moment, in dem sich Bruns’ Gefühle für Darlene vertieften, wiederholte Schmid seine verächtlichen Äußerungen über sie. Abfällig machte er Bruns klar, dass sie ein ideales Opfer sei. Was Bruns davon hielte. Die Vorstellung, Schmid habe Darlene bereits als sicheres Opfer ausgemacht, dass Darlene also etwas zustoßen könne, machte Bruns wahnsinnig. Die Mordabsichten des ehemaligen Freundes konnte er nicht verraten. Er musste befürchten, sofort wieder ins Gefängnis zu gehen, wegen der angeblichen Beteiligung an Schmids anderen Morden. Außerdem: Wer würde einem Herumtreiber wie ihm schon glauben? Wenn er Darlene also retten wollte, musste er das selbst organisieren. Und er musste sich endgültig gegen Schmid wenden, auch wenn er selbst dabei draufging.
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Ein paar Tage nach Darlenes Trennung von Bruns, wurde in Darlenes Elternhaus eingebrochen. Mehrere Nächte hintereinander schlich eine vermummte Gestalt über das Grundstück. Darlene und ihre Familie erstarrten beim Anblick der schwarzgekleideten Person, die ihnen wie ein Rächer vorkam, jemand, der sie irgendwann, wennn sie mürbe genug wären, angreifen würde. Bruns wusste, dass Schmid all seine Morde nachts begangen hatte. Zwar wusste er nicht, wie er genau vorgegangen war, doch waren das nächtliche Streunen eindeutige Zeichen für ihn, dass Schmid Darlenes Fährte aufgenommen hatte. Für Darlene und ihren Vater kam für dieses Verhalten ebenfalls nur eine Person in Frage: Richard Bruns. Dieser konnte seine Unschuld beteuern, wie er wollte. Es half nichts.
Darlenes Vater informierte die Polizei.
Klicke hier: Gretchen Fritz
Foto: unbekannt
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Teil 11
Kaum sitze ich in einem Café, verzieht sich der Nieselregen, und es klart auf. Ich hatte Kälte erhofft, es ist mild. Ich beobachte den University Boulevard. Es ist ein hektischer Morgen, Menschen rennen hin und her. „Walk around Times Square, with a pistol in my suitcase“, höre ich aus einem Lautsprecher. Die Universität öffnet ihre Tore und entlässt Uniform tragende junge Menschen auf die Straße. Mit einem Schlag ist das Café voll und laut. Wenn ich jetzt eine Pistole hätte, ich würde schießen. Ich stürze auf die Straße. In Tucson hält mich nichts mehr.
Ich laufe zu meinem Wagen. Da höre ich hinter mir eine Stimme: „Sess, Sess, Sess.“ Ich schaue flüchtig über meine Schulter. Ein kleiner Mann mit indigenen Zügen taucht neben mir auf. Er wirft mir einen Blick zu, mit einer leichten Handbewegung bedeutet er mir ihm zu folgen. Ich schließe meine Augen. Es ist 10 Jahre früher.
Ein früher Sommermorgen in Alphabet City, New York. Ich bin noch nicht lange hier, vielleicht zwei, drei Monate. Gerade laufe ich Avenue C entlang, auf dem Weg zu meiner Wohnung. Auf der Straßenseite gegenüber steht die Ruine eines abgebrannten Hauses, im Eingang des Wohnsilos, das ich gerade passiere, kauert ein Hispanier und hantiert mit zittrigen, ausgemergelten Händen an einer Spritze. Eine Frau schaut ihm apathisch über die Schulter, rhythmisch kreist ihr Kopf zu einem stummen Beat. Vor und zurück, vor und zurück. Vielleicht trägt sie Kopfhörer, ich kann es nicht erkennen und bleibe stehen. Plötzlich richtet sie ihren Blick auf mich und starrt mich aus toten Augen an. Ich zittere. Meine Nacht war lang, dies ist nicht meine Stadt, und das ist nicht mein Leben. Die Frau ist jung, hoffnungslos, verloren. Ich habe Angst. Mit dem letzten Funken an Trauer im Blick streckt sie mir ihre Hand entgegen. Ich greife nach einem Geldstück. Da sehe ich, wie ihrem Arm Blut entlang rinnt. Mit Mühe halte ich die Tränen zurück.
Die letzten Meter nach Hause folgt mir ein Schwarzer, der mir ohne Unterlass zuflüstert: „Sess, Sess.“ Ich wundere mich über das Wort, das ich noch nie gehört habe.
Ich öffne meine Augen und folge dem Mann mit den indigenen Zügen in eine Seitengasse. Er bleibt stehen. „How much?“, sage ich. „Ten, ten“, sagt er und zeigt mir zehn Finger. Er deutet auf eine kleine Tüte in seinem Jackeninneren. Ich sage Five, er wiederholt seinen Preis, steckt aber noch ein paar getrocknete Pflanzen in die Tüte und hält sie mir hin. Ich gebe ihm das Geld. Sekunden später ist er verschwunden. Im Auto fällt mein Blick auf das Sixpack, das Marihuana in meiner Tasche hebt meine Stimmung. Ich fahre in die Wüste, zum Drinking Spot. Alleine
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Eines abends kommen die beiden Schwestern nicht Hause. Zum Verschwinden der Teenager hier klicken
Klicke hier: Typischer Straßenzug in Tucson in den 60-er Jahren
Foto: unbekannt
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Teil 12
Richard Bruns gab nicht auf. In dem Maße, in dem Schmid seine Mordvorbereitungen vorantrieb, war Bruns besessen von dem Gedanken, als Einziger Schmids nächstes Verbrechen verhindern zu können. In Briefen forderte er Darlene auf, ihr Haus nicht mehr zu verlassen, sondern zu warten, bis er sie abhole. Doch Darlene lachte nur über seine Angst um sie und verbat sich jeden weitere Einmischung in ihr Leben. Auch nahm sie keine Rücksicht auf seine Gefühle als unglücklich Verliebter und traf sich regelmäßig mit anderen Jungs.
Sobald Bruns davon erfuhr, drang er in ihr Haus ein und beschwor sie, auf ihn zu hören und zu Hause zu bleiben. Wenn sie schon andere Jungs treffen wolle, solle sie das hier tun, hier sei sie am sichersten. Darlene wurde zusehends ungehaltener. Sie rief wiederholt nach ihrem Vater, der Bruns hinauswarf.
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Schmid war unzufrieden. Er war überzeugt, die vier Morde, die er begangen hatte, waren nur durch Zufall unentdeckt geblieben. Er fühlte sich weit davon entfernt, ein Profikiller zu sein. Wenn er ehrlich wäre, müsste er zugeben, dass er nichts weiter als ein Stümper war. Er, der alles perfektioniert hatte: seinen Sport, seine Musik, seine Mädchenjagd.
Gut, der Mord an dem Jungen, den er als erstes umgebracht hatte, würde nie aufgeklärt werden. Allerdings vermisste auch niemand den Kleinen. Als er jedoch Alleen erschlug, hatte er zwei Mittäter, John Sanders und Mary French, die jederzeit ein Geständnis ablegen konnten. Die Fritz-Schwestern hatte er zwar alleine getötet, erdrosselt, hier in seinem kleinen Haus, doch hatte er zu vielen Freunden und Bekannten davon erzählt. Das war nicht klug gewesen. Hinzu kam, dass der Vater der Schwestern gut vernetzt war, seine Verbindungen reichten bis tief in die Tucson-Mafia. Irgendeiner der vielen Mitwisser würde sicher bald unter dem Druck einer Befragung einknicken und reden. Einzig Richard Bruns war zu trauen. Dieses Gefühl machte Schmid ein wenig ruhiger.
Dennoch, der Rattenfänger von Tucson beschloss, bei nächsten Mal diskret zu Werke zu gehen. Er wusste auch schon wie. Richard Bruns hatte ihm ungewollt den Weg gezeigt.
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Je weniger sich Darlene auf seine Vorsichtsmassnahmen einliess, desto verzweifelter wurde Bruns. Eines Tages fuhr er mit seinem Wagen in ihre Strasse, kreiste um ihren Block und stieg aus. Er redete mit den Nachbarn, befragte sie nach auffälligen Geschehnissen und wollte sie bitten, ihn bei der Beobachtung von Darlene zu unterstützen. Doch die wenigen, die ihm ein Ohr schenkten, lachten schallend, als er sein Anliegen vorgetragen hatte. Dies sei eine friedliche Strasse, hier passiere nie etwas. Als Bruns bemerkte, dass Darlene nicht zu Hause war, parkte er vor dem Eingang und richtete sich darauf ein, die Nacht in seinem Wagen zu verbringen.
Als er am anderen Morgen aufwachte, fühlte er sich zwar gerädert, gleichzeitig aber auch viel besser als an den Tagen zuvor. Endlich hatte er eine Lösung gefunden, wie er Darlene würde beschützen können. Er verkaufte seine wenigen Habseligkeiten und zog in den Wagen, den er vor Darlenes Haus geparkt ließ.
Klicke hier: Schmids letztes Foto in Freiheit
Foto: wahrscheinlich Polizei
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Teil 13
Schmid war jetzt 23 Jahre alt und seit ein paar Tagen mit der 15-jährigen Diane Lynch verlobt, in ein paar Wochen wollten sie heiraten. Die Unschuld und die Natürlichkeit seiner fast kindlichen Verlobten hatten es Schmid angetan, sie beeindruckten ihn tief. Sie war endlich die Richgtige.
Er war das Gegenteil von unschuldig und natürlich.
Schmid sah mittlerweile aus wie ein Gespenst. Sein Gesicht bemalte er kreideweiss, der künstliche Leberfleck auf seiner Backe war Handteller groß, über der Nase trug er ein Pflaster – angeblich hatte sie ihm jemand in einem Boxkampf gebrochen. Sein Leben war ein großes Chaos. Er vögelte manchmal mehrmals am Tag, trank morgens schon Bier, war zu keiner Minute mehr nüchtern und legte sich mit jedem an, der ihm in die Quere kam. Sogar die Mafia war eines Tages hinter ihm her. Abends veranstaltete er Partys für Dutzende Gäste in seinem kleinen Haus, in das eigentlich nur 10 Leute passten.
In einem seltenen Moment von Klarheit versprach er Diane, ein guter Ehemann zu sein. Sie dürfe ihm keine Vorwürfe machen, er sei in seinem Leben einsam gewesen ohne sie. Diane hatte ihm keine Vorwürfe gemacht und verstand nicht, warum er sich rechtfertigte. Sie himmelte ihn an und konnte gar nicht genug von ihm kriegen.
Er war ihr Ein und Alles.
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Mit zunehmender Dauer der rund-um-die-Uhr-Bewachung veränderte sich Bruns. Er ass und trank nur noch selten und kümmerte sich nicht mehr um sein Äußeres. Er verlor alle sozialen Kontakte pöbelte stattdessen mit Darlenes Nachbarn, die von ihm verlangten, endlich zu verschwinden. Sie konnten seinen Anblick, seine zunehmende Verrohung nicht länger ertragen. Der einzige, der in den ständigen Streitigkeiten um Richie Bruns ruhig und gelassen blieb, war Darlenes Vater, Robert Lynch.
Nach eingehender Beschäftigung mit Bruns, hatte Lynch nämlich den Eindruck erlangt, dass Bruns zu keinem Leid in der Lage war. So tat er seine Obsession als Jungenstreich ab, und die würde Bruns sicher irgendwann selbst langweilen. Es gelang Lynch sogar, die Nachbarn zu beruhigen, vorübergehend zumindest. Denn irgendwann, schien es, als hätte Bruns die Schwelle zum Wahnsinn überschritten.
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Die alte Frau steht neben dem Jüngling. Sie setzt sich auf den anderen Stuhl. Die Küche ist nicht hell, das Licht einer Straßenlaterne wirft bizarre Schatten an die Wand. Die alte Frau schaut den jungen Mann regungslos an. Sie nimmt seine Hand, er entzieht sie ihr. Warum ist er so aufgebracht? Was hat ihm die Frau getan?
Sie redet nun auf ihn ein, nein, er redet auf sie ein. Seine hohe Stimme klingt anfangs wie die einer Frau, bei genauem Zuhören entpuppt sie sich allerdings als die eines Mannes. Er springt auf, will weglaufen, torkelt, stolpert und fällt auf seinen Stuhl zurück. Er gestikuliert, schreit, die alte Frau nickt.
Sie zieht das Telefon quer über den Tisch und lässt es vor sich stehen. Wieder nimmt sie seine Hand, diesmal hält sie sie fest. Lange und eindringlich spricht sie zum jungen Mann. Der nickt langsam mit dem Kopf. Entsetzt schaut er auf, direkt in ihre unbeweglichen Augen. Er nickt wieder.
Die alte Frau greift zum Telefonhörer.
Klicke hier: Straße zum Drinking Spot
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Teil 14
Die Bewachung hatte bereits 12 Wochen gedauert, als Bruns eines morgens wie ein hungriger Wolf durch die Vorgärten schlich und einen nach dem anderen verwüstet. Er stiess dabei Laute aus, die denen eines verendenden Tieres ähnelten. Immer wieder schrie er, er hätte es verhindern müssen, Smitty habe es wieder getan, er habe es wieder getan! Wie das habe passieren können? „Ich hätte es verhindern müssen!“
Die Nachbarn liefen eilig zusammen. Einige waren amüsiert, doch die meisten waren besorgt. Eine verängstigte Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm rief schließlich die Polizei. Erst, als ihn mehrere Beamte „einfangen“ und zu Boden werfen konnten, beruhigte sich der schier Übergeschnappten. Und wieder einmal führte Bruns’ Weg ins Gefängnis.
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Ich hole mein Gepäck aus dem Tucson Inn und fahre auf einer großen Straße nach Norden, vermutlich in Richtung Stadtgrenze. Als die N Oracle Road meine Straße kreuzt biege ich ab, wohl wissend, dass diese Straße direkt zum Drinking Spot führt. Der gerade noch wild bebaute Innenstadtteil wird zur Wohngegend. Friedlich sieht es hier aus, beinahe einladend. Ich rolle langsam durch eine Idylle von eng stehenden, einstöckigen Vorstadthäusern. Männer und Frauen sitzen in ihren Gärten, Kinder spielen auf künstlichem Rasen oder planschen in Schwimmbecken. Hälse drehen sich nach mir um. Blicke folgen mir.
Ob die Menschen ahnen, was sich in dieser Gegend vor 32 Jahren zugetragen hat?
Nach ein paar Minuten sehe ich nur noch vereinzelte Häuser. Ich fahre am Ortsschild Tucson vorbei. Hier draußen, vor der Stadt ist die Luft trocken und heiß, beinahe schneidend. Das Thermometer auf dem Armaturenbrett zeigt fast 40 Grad in der Sonne. Bei diesen Temperaturen macht das Autofahren keinen Spaß. Vielleicht ist es keine gute Idee, nachher die knapp 100 Kilometer nach Nogales in Mexiko zu fahren, wo Schmid geheiratet hatte, denke ich. Die Strasse macht jetzt eine Kurve, dann endet sie. Einfach so. So beginnt also die Wüste, denke ich.
Auf einem unbefestigten Schotterweg fahre ich noch etwas weiter, bis ich an ein Schild komme, das mir das Autofahren ausdrücklich verbietet, übrigens auch jeglichen Drogenkonsum. Kein Mensch ist unterwegs. Ich öffne eine Dose Bier. Sollte ich jetzt in eine Polizeikontrolle geraten, würde ich mit Sicherheit im Tucson Prison enden. Wie Schmid, wie Bruns. Nichts könnte mir herzlicher egal sein. Ich fahre weiter. Irgendwann werfe ich die leere Bierdose aus dem Fenster.
Ich öffne noch ein Bier – und zucke zusammen. Der Schluck bleibt mir fast im Hals stecken. Vor mir taucht ein Kreuz auf. Ich sehe mich um. Da ist noch eines. Daneben liegen Steine herum, so groß wie Handbälle. Ich parke. Es ist Mittag, die Sonne steht genau über mir. Das Kreuz flackert ein bisschen vor meinen Augen, es verschwimmt. Es ist aber auch heiß, denke ich und besehe mir das eine Kreuz genauer. Die Initialen „AR“ vermeine ich zu erkennen, „AR“, wie Alleen Rowe, Schmids erstem Mordopfer. Ich werfe die Dose in hohem Bogen über das Kreuz, höre, wie sie dahinter einen Abhang hinunterrollt. Dann ist es wieder still.
Ob Bruns die beiden Schwestern hier verbuddelt hat?
Klicke hier: Blick über den Drinking Spot mit Stein und Kreuz – auf den dahinter liegenden Hügel
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Teil 15
In einer Gerichtsverhandlung bot der Staatsanwalt Bruns einen Deal an. Gegen die Zusicherung von Straffreiheit müsse er die Stadt verlassen und zu seiner Oma nach Ohio ziehen, 3200 km nördlich von Tucson. Bruns schluckte, denn das würde bedeuten, Darlene Schmid in den Rachen zu werfen.
Die Alternative wäre jedoch Gefängnis, und auch dort hätte Bruns keinen Einfluss auf Smitty. Schweren Herzens ging Bruns den Deal ein. In Freiheit würde ihm schon etwas einfallen.
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Eine Menge Polizisten stehen in der Küche, die viel zu klein für die vielen Menschen ist. Die alte Frau kocht Kaffee. Die Beamte trinken. Sie bemühen sich um den jungen Mann, reden geduldig auf ihn ein. Der junge Mann vergräbt seinen Kopf in den Händen. Weint er? Ja, er weint, jetzt schluchzt er sogar. Er stöhnt ein paar Worte, ist schwer zu verstehen.
Die Polizisten besprechen sich, ein paar von ihnen treten vor die Tür. Eine Polizistin bleibt mit einem Kollegen zurück. Sie fährt mit ihrer Hand dem jungen Mann beinahe zärtlich über den Kopf. Sie nickt ihm freundlich zu.
Schließlich führt sie ihn aus der Küche ins Freie.
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Zeitgleich klingelt das Telefon auf einer Polizeiwache in Tucson, Arizona. Vier Männer in Zivil machen sich ein paar Minuten später auf den Weg zu Schmids little house, in der E. Adams street, Nr. 428. Ihr schwarzes, großes Auto gleicht dem von Charles “Batts” Battaglia, dem Chef der „Tucson-Mafia“.
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Ich rolle einen Joint und öffne noch ein Bier. Ich inhaliere tief und atme wieder aus. Nehme noch einen Zug und dann noch einen. Ich sinke zurück. Was ein Teufelszeug, denke ich. „Ich muss eine Pause machen“, sage ich zu mir selber, „sonst blase ich mir die Lichter aus. Ganz schnell, hier, mitten in der Wüste. Bei 40 Grad.“ Ich stecke den Joint ein und stehe auf.
Ich wanke und schwanke, aber ich falle nicht.
In einiger Entfernung erkenne ich die Umrisse einer kleinen Anhöhe. Es muss doch himmlisch sein, dort oben zu sitzen und in die Wüste zu schauen, denke ich.
Doch so sehr ich es versuche, ich komme kaum vorwärts. Immer wieder stolpere ich und greife in die Kakteen, die überlebensgroß neben mir auftauchen. Ich höre Stimmen. Eine. Die von Grace Slick…
press here
„And if you go chasing rabbits
And you know you’re going to fall
Tell `em a hookah smoking caterpillar
Has given you to call
To call Alice, when she’s just small“
Mit blutigen Händen und einem dröhnenden Schädel erreiche ich die Anhöhe. Von wegen Anhöhe, das ist ein Hügel, denke ich, fast schon ein kleiner Berg, aus Felsen und Geröll. Davon stand nichts in: „The Pied Piper of Tucson“, dass die Wüste rau und fast unbegehbar ist. Ich sollte umkehren, mich ins Auto setzen und etwas ausruhen.
Ich mache eine weitere Dose auf. Das Bier ist warm, fast heiß. Komisch, denke ich, wie egal einem warmes Bier werden kann. Ich mache mich an den Aufstieg auf einem einigermaßen breiten Weg. Interessanterweise komme ich besser voran, jetzt, wo ich aufwärts gehe. Vielleicht weil hier keine Kakteen stehen, in die ich fallen kann.
Unerwartet kommt eine Wegverengung, in deren Mitte ein Felsen liegt. Es sieht auf den ersten Blick nicht so aus, als ob es hier für mich weiterginge. Ich schaue nach oben. Eindeutig, der Gipfel ist über dem Felsen, keine Chance, den je zu erreichen. Ich mache eine Dose Bier auf und sinke langsam auf den steinigen Boden.
Klicke hier: Mary French, Schmids Ex-Freundin mit Beamten am Drinking Spot – auf dem Weg zum vermeintlichen Grab von Alleen Rowe
Foto: Polizei
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Teil 16
Am 9. November 1965 fuhr ein Gerichtsbeamter Richie Bruns zum Flughafen. Kurz bevor sie den Flughafen erreichten, hupte es hinter ihnen. Ein Wagen überholte Bruns und den Beamten. Der Fahrer machte ein Zeichen, anzuhalten. Es war Schmid. Die beiden ehemaligen Freunde stiegen aus dem Wagen.
Sie gaben ein gruseliges Bild ab, wie sie sich da gegenüberstanden: Auf der einen Seite Bruns, ein Schlaks von 185 cm, der abgemagert war bis auf die Knochen. Auf der anderen Seite Schmid, ein kleiner kräftiger Mann, dessen Make-up völlig verschmiert war, und der offensichtlich sturzbetrunken war. Wenn Bruns aussah wie der wandelnde Tod, musste man bei Schmid an den Teufel denken. Keiner von Beiden sprach, stumm starrten sie sich an.
So endete das letzte Mal, dass sich die beiden in Freiheit begegneten.
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Ich stehe auf, mühsam, aber ich schaffe es. Ich gehe um den Felsen herum – und wäre beinahe gestürzt. Auf der anderen Seite geht es ohne Warnung tief hinunter. Ich verstehe nicht, wieso es plötzlich so steil ist, so hoch bin ich doch noch gar nicht geklettert. Statt um ihn herum zu gehen, steige ich vorsichtig auf den Felsen, der offenbar so etwas wie ein Wärter ist, ein Wärter des Gipfels, denke ich. Wahrscheinlich ist es nicht jedem erlaubt, hier hochzuklettern, eben nur Auserwählten. Charles Schmid, der war sicher öfters hier – John Gilmore dagegen nie. Ich kichere.
Ich entdecke einen Vorsprung, den müsste ich nun zu fassen kriegen. Das geht aber nicht mit vollen Händen. Oh, Mann, ich muss aufhören so zu schwanken. „Konzentrier dich doch mal“, rufe ich. Ich zögere, leere die Dose Bier und werfe die vollen nach oben. Ich schwitze, triefe vor Nässe. Ich bekomme ein Stück Stein am Vorsprung zu fassen und ziehe mich mit beiden Händen in einem Schwung nach oben. Ich schaffe es gerade, weit genug auf dem Plateau liegen zu kommen, ohne gleich wieder runterzurutschen. Geschafft. War doch gar nicht so schwer. Und: Wie schön es ist, hier zu liegen. Auch ist es hier etwas kühler, bilde ich mir ein. Ich werde mich einen Moment ausruhen.
Mein Blut pulsiert in den Schläfen, ich könnte aufstehen, wenn ich wollte und nach unten schauen. Sicher ist die Aussicht grandios, so hoch oben, weit über Stadt und Wüste. Ich rolle mich auf den Rücken und fummele den Joint aus dem Tabaksbeutel in meiner Hosentasche. Der erste Zug tut überraschend gut. So gut, dass ich gleich noch einmal ziehe. Der nächste Zug ist sogar noch besser. Hammer, was war denn vorhin los? Da hatte ich es beinahe bereut, in Drogen investiert zu haben. Der ist doch wie eine Offenbarung, dieser Joint. Grandios!
Etwas, das mich mich, mich ganz macht, mich heilt. Innerlich und vollkommen. Ich inhaliere tief, halte den Rauch lange in meinen Lungen. Ich schließe die Augen. Dieser Moment wird nicht vergehen.
Ich fühle, wie die Schwerkraft langsam aus meinem Körper weicht, wie meine Körperhülle mich eine Feder werden lässt. Ein Vogel. Ein Schmetterling. Alles auf einmal. Nichts. Das andere, das gerade war, das noch oder nicht mehr ist – so fern. Weit weg, unwichtig, bedeutungslos. Mit Mühe ziehe ich noch einmal an meinem Joint, ohne bemerkt zu haben, dass er bereits so weit runtergebrannt ist, dass meine Fingerkuppen verbrannten. Egal. Ich höre Stimmen, Mädchenstimmen, viele. Jede einzelne der jungen Frauen trägt eine Flöte oder ist es ein Dudelsack? Es ist eine göttliche Musik, die nun anklingt…
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„Remember what the Dormeuse said
Feed your head
Feed your head.“
Langsam verliere ich das Bewusstsein.
Klicke hier: Charles Schmid nach seinem dritten Ausbruchversuch
Foto: Polizei
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Teil 17 – Epilog
„Hey, come on, babe, follow me
I’m the Pied Piper, follow me
I’m the Pied Piper
And I’ll show you where it’s at.“
The Pied Piper, Song von 1963
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Richard Shelton war ein junger Englischprofessor an der Tucson University of Arizona, als er 1970 einen Brief bekam. Ein junger Gefängnisinsasse bat ihn darin, seine Gedichte und andere lyrischen Werke zu beurteilen, die er in Gefangenschaft verfasst hatte. Shelton weigerte sich zunächst, doch da der Gefangene in der Todeszelle saß, erbarmte er sich und las.
„Ich war fasziniert“, sagte Shelton 2007 in einem Interview, „weil das ein solch talentierter und berührender Autor war – und gleichzeitig eben auch ein Monster.“
Shelton startete eine über 32-Jahre währende Zusammenarbeit mit Gefangenen, die begonnen hatten, im Gefängnis von Tucson Gedichte zu schreiben. Viele seiner Studierenden saßen „on Death Row“, einige wurden nach Ablauf der Gefängniszeit oder nach ihrer Begnadigung freigelassen. Manche seiner ehemaligen Studenten begannen in Freiheit sogar eine Karriere als erfolgreiche Autoren.
Sheltons erster Student, der Briefschreiber von 1970, war auch gleichzeitig der erste (und einzige) seiner Studenten, der ermordet wurde – allerdings nicht von staatlich beauftragten Henkern.
Am 30. März 1975 starb Charles Schmid an 20 Stichwunden, die ihm zwei Mitgefangene zehn Tage zuvor zugefügt hatten. Auch ein Auge, das ihm die Mörder bei lebendigem Leib herauszuschneiden versuchten, hatte er in den Tagen seiner Leidenszeit verloren. Seit er die Bestätigung hatte, er sei ein begnadeter Dichter, wandelte Schmid stolz wie ein Pfau durchs Gefängnis und ließ jeden seine Überlegenheit spüren. Die zwei Gefangenen, die ihn umbrachten, wurden nie zur Verantwortung gezogen.
Schmids Adoptiveltern veranlassten, dass ihr Sohn auf dem Gefängnisfriedhof begraben wurde.
Nachdem er Shelton kontaktiert hatte, saß Schmid noch ein paar Monate in der Todeszelle. 1971 wurde die Todesstrafe in Arizona vorübergehend abgeschafft, auch Schmids Strafe wurde in einen 50-jährigen Freiheitsentzug umgewandelt. Ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung.
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Wenn es nach Schmid gegangen wäre, wäre er bereits am 17. Juni 1966 hingerichtet worden. Er war die vielen Prozesstage Leid, er fühlte sich im und außerhalb des Gerichtsaales vorverurteilt. Dazu ärgerte es ihn, dass es seinen Starverteidigern nicht gelungen war, ihn freizubekommen, obwohl er den achtstündigen Test mit einem Lügendetektor bravurös bestanden hatte. Dennoch wurde irgendwann die Todesstrafe gegen ihn verhängt, trotzdem es nur die beiden Leichen der Schwestern gab, keine Beweise und viele widersprüchliche Zeugenaussagen. Auch Bruns hatte sich oft widersprochen. Zwar hatte er die Polizisten zu den Leichen der beiden Schwestern geführt, die er selbst verbuddelt hatte. Alleen Rowes Skelett blieb jedoch unauffindbar, obwohl Bruns schwor, er wisse, wo es wäre.
Schmids Hinrichtung war für den 17. Juni vorgesehen. Schmid stimmte zu. Er wäre gerne als Märtyrer gestorben – vergast vom Staat Arizona, der ihm drei Morde nicht nachzuweisen konnte. Nur, weil Schmid sich im Gerichtsall lustig gemacht hatte, indem er den Richtern und der Polizei ihre eigene Unfähigkeit vorhielt, unfähig, herauszufinden, was mit Alleen Rowe geschehen war, sagte man den Hinrichtungstermin wieder ab.
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Als ich in Nogales, Mexiko, ankomme, bin ich fröhlich. Zwar dröhnt mein Kopf, ich schwitze ein wenig, aber es macht mir nichts aus. Ich fühle mich lebendig und frei zu tun, was ich will.
Es ist Abend und immer noch heiß. Die Stadt Nogales ist absurd: Ein Teil gehört zu den USA, ein anderer zu Mexiko. Separiert ist der eine vom anderen Teil durch einen hohen Stacheldrahtzaun. Ich muss dabei an den Libanon denken, auch Palästina stelle ich mir streckenweise auf die gleiche Art geteilt vor. Die Kirche, in der Schmid und Diane sich vermählten, schenke ich mir. Auch das Restaurant, in dem sie feierten, will ich nicht sehen.
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Im Wiederaufnahmeverfahren gegen Schmid wegen Mordes an Rowe sagte auch Richie Bruns wieder aus. Nachdem er in den Zeugenstand getreten war, schaute er kurz zu Schmid. Doch Bruns hielt dessen giftigen Blick nicht aus und senkte seine Augen. Schmid rief ihm zu, er wisse, warum er das tue.
Bruns zitterte, er war in keiner guten Verfassung.
Ein paar Monate zuvor hatte er Morddrohungen erhalten, weil er Schmid angeblich verraten hatte. Dabei war es nicht er gewesen, der den Polizisten in Ohio erzählt hatte, wer die Mädchen umgebracht hatte. Sondern seine Großmutter. Sie hatte auch veranlasst, dass die Polizei in Tucson ihren völlig verzweifelten Enkel nur einen Tag nach seiner Ankunft in ihrem Haus wieder nach Tucson zurückflog. Dort schließlich war er endgültig zusammengebrochen und hatte ein Geständnis abgelegt: Er sei mitschuldig am Tod der beiden Schwestern, an dem von Alleen Rowe und an dem eines kleinen, namenlosen Jungen.
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Schmid wusste, dass er keine Chance hatte. Weder auf einen fairen Prozess, die Öffentlichkeit war mittlerweile dermaßen gegen ihn und sein arrogantes Auftreten eingenommen, dass auch der letzte Rest an Objektivität verloren gegangen war. Noch hatte er das Gefühl, dass ihm Recht und Gesetz auch nur irgendeine Chance liessen, durch ihre Maschen zu schlüpfen. Zu erdrückend waren die Vorwürfe gegen ihn, ein Indizienprozess würde er verlieren.
So tat er etwas, was er sein ganzes Leben getan hatte: Der Rattenfänger von Tucson spielte. Mit der Staatsanwaltschaft. Er hatte seine Staranwälte gefeuert und einen einfachen Pflichtverteidiger akzeptiert. Diesem schlug er vor, im Gegenzug für eine 50-jährige Freiheitsstrafe Totschlag, aber keinen Mord an Alleen Rowe zu gestehen. Dass er sie mit einem schweren Stein erschlagen hatte, bestritt er nach wie vor.
Das Gericht ging auf das Angebot ein unter der Bedingung, dass er die Beamten zu Alleen Rowes Leiche führte.
Und so kam es, dass Schmid noch einmal an den Drinking Spot zurückkehrte.
Nach kurzer Suche hatte er die Reste von Rowes Skelett gefunden. Doch als die Gerichtsmediziner feststellten, dass dem Mädchen sehr wohl der Schädel eingeschlagen worden war und zwar mit dem blutverklebten Stein, der in unmittelbarer Nähe ihrer Leiche gefunden worden war, war es zu spät. Der Deal zwischen Schmid und der Staatsanwaltschaft stand unumstößlich. Schmid hatte sich zunächst unfreiwillig, doch dann absichtlich die Todesstrafe erspart. In einem Fall zumindest.
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Statt in Nogales zu halten fahre ich weiter in die mexikanische Wüste hinein. Sie ist anders, als die Sonroa-Wüste, aus der ich komme, flacher und weitläufiger. Ich entscheide an den Pazifik oder den Golf von Kalifornien zu fahren. Ich habe immer noch keine Straßenkarte, an der Sonne kann ich mich nicht orientieren, die ist bereits untergegangen. So verfahre ich mich häufig, was ich immer dann merke, wenn ich mal wieder eine Kreuzung zum 2. oder 3. Mal passiere. Das ist komisch, es lässt mich ein paar Mal kichern. Aber das Vorankommen ist dadurch ein bisschen mühsam. Und jetzt ist es draußen völlig dunkel, ich bin müde und habe Hunger.
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An dem Abend, an dem Richie Bruns die beiden Schwestern vergraben musste, saßen er und Smitty noch lange am Drinking Spot. Sie tranken Bier und rauchten Marihuana. Schmid redete in einem Fort, doch Bruns hörte nicht mehr zu. Als der Tag bereits anbrach, bat er Schmid, dieser möge ihn in Ruhe lassen. Er müsse sich über ein paar Dinge klar werden und nachdenken. Alleine. Er komme schon in die Stadt, keine Sorge.
Doch in dieser Nacht wurde Bruns sich über nichts mehr klar. Bald, nachdem Schmid gegangen war, schlief er ein, alkohol- und marihuanaberauscht. Er schlief nicht gut. Er hatte unruhige Träume, schreckte immer wieder aus ihnen auf. Irgendwann wachte er ganz auf.
Sofort war ihm klar, dass er gerade Darlenes Exekution geträumt hatte.
In der späteren Gerichtsverhandlung konnte er nicht mehr genau sagen, wodurch Darlene in seinem Traum getötet worden war, nur, dass Schmids kräftigen Hände beteiligt gewesen seien. Auch gab er zu, dass er zum damaligen Zeitpunkt noch keine Beziehung mit Darlene gehabt hatte. Das sei erst passiert, als er begonnen hatte, sie vor Schmid zu schützen. Aber geliebt habe er sie damals schon. Als Schmids Verteidiger ihn fragte, ob er wegen dieses einzigen Traumes 12 Wochen vor Darlenes Haus herumgelungert sei, sagte Bruns: „Einer musste es tun.“
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Es hilft nichts, es geht nicht weiter, mein Kopf fällt immer wieder fast von seinem Hals, aufs Steuerrad. Ich ziehe in eine kleine Pension, mitten in der mexikanischen Wüste. Was ich weiß, ist, dass ich morgen einfach meinem Instinkt vertrauen muss. Sonst lande ich in Texas oder in Honduras, wenn ich nicht aufpasse. Ich weiß nicht, was schlimmer wäre.
Ich freue mich auf das Morgen, ein neues Abenteuer, das Leben, die Welt. Ja, auch auf die 1.100 Kilomter nach Los Angeles und auf das, was danach kommt.
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Vor seiner Verhaftung hatte Schmid vielen, wirklich vielen Menschen von seinen Morden erzählt. Den Mord an den beiden Schwestern hatte er in seinem Freundeskreis sogar angekündigt. Gretchen, die Ältere, besäße ein Tagebuch von ihm, in dem er seine anderen beiden Morde aufgeschrieben habe, dieses wolle er wiederhaben. Doch sie gebe es nicht mehr her, also müsse sie sterben.
Weder dieses Tagebuch wurde jemals gefunden, noch gab es Anhaltspunkte für einen vierten Mord, der in diesem Tagebuch beschrieben gewesen sein soll.
Unter Tucsons Jugendlichen kursierte jedenfalls das Gerücht, Schmid habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, oder mit der Mafia, oder der Polizei. Denn offensichtlich konnte ihm niemand etwas anhaben, da er trotz dreier Morde bereits so lange in Freiheit lebte – eine Tatsache, die seinen Ruf unter den Jugendlichen ins Unermessliche steigerte.
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Verschiedene Zeugen bestätigten unabhängig voneinander, dass Schmid tatsächlich auf der Suche nach seinem nächsten Mordopfer gewesen sei. Sie gaben an, von Schmid erfahren zu haben, dass eine Cathy, die ihn besonders geärgert hatte, eine Susan, eine Hedda, eine Terry oder eine Mary dieses Opfer gewesen sein würde.
Den Namen „Darlene“ hingegen nannte niemand.
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„I walk 47 miles of barbed wire,
I use a cobra-snake for a necktie,
I got a brand new house on the roadside,
Made from rattlesnake hide,
I got a brand new chimney made on top,
Made out of a human skull,
Now come on take a walk with me, arlene,
And tell me, who do you love?
Who do you love?
Who do you love?
Who do you love?
Who do you love?
Tombstone hand and a graveyard mine,
Just 22 and I don’t mind dying.“
Bo Didley, „Who do you love?“
Ende
© Christoph Brandl