Teil 1

Begegnung mit einem Mörder

Teil 1 —–

Charles Schmid beging seinen ersten Mord, als er 21 Jahre alt war. Sein Opfer war die 15-jährige Alleen Rowe, die Schmid kaum gekannt hatte. Mit einem Stein hatte er dem Mädchen den Schädel eingeschlagen und die Leiche am Tatort in der Wüste, etwas ausserhalb von Tucson, Arizona, liegengelassen. Der Ort nannte sich „Drinking Spot“ und lag am Fuße der Catalina Berge in der Sonora-Wüste. Das war am 31. Mai 1964. 15 Monate später brachte Schmid zwei weitere Mädchen um, Schwestern, im Alter von 13 und 17 Jahren, deren Leichen er ebenfalls am stadtbekannten „Drinking Spot“ verwesen ließ. Mit der Älteren, Gretchen Fritz, hatte er bis zu deren Tod eine intensive Liebesbeziehung geführt. Die Jüngere, Wendy, hatte das Pech, dass ihre Schwester sie am Abend ihres Todes zusammen mit Schmid ins Kino eingeladen hatte.

Die Morde an drei Mädchen innerhalb so kurzer Zeit spaltete die Stadt. Ein Teil der Bevölkerung war überzeugt, dass nur Charles Schmid als Mörder in Frage käme. Der andere Teil glaubte an seine Unschuld. In unzähligen Befragungen bestritt Schmid jedoch jegliche Tatbeteiligung, und aus Mangel an Beweisen liess die Polizei ihn schließlich laufen. Es schien, als wären ihm drei perfekte Verbrechen gelungen.

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Im hinteren Winkel eines Antiquitätengeschäfts in Glasgow entdecke ich 1997 ein Buch mit dem Titel „Cold-Blooded“. Eine Staubschicht hat sich auf den Einband gelegt, und während ich sie beiseite wische, denke ich an das Buch: „In Cold Blood“, in dem Truman Capote eindringlich die Morde an einer vierköpfigen Farmersfamilie aus Kansas beschreibt. Das Buch, das ich in der Hand halte, besitzt ein ungewöhnliches Format. Es ist etwas kleiner als Din-A4 und auch ein bisschen breiter, so scheint es. (Es nennt sich im Untertitel: „Die Saga von Charles Schmid, dem bekannten Rattenfänger von Tucson“.) Oben auf dem Cover steht ein Zitat der New York Times: „Dies ist die Geschichte eines Schattenlebens, eine Story von Tod und Sühne, aufschlussreich, schockierend und verwirrend.“ Unter dem Zitat ist das Brustfoto eines Mannes im Halbprofil zu sehen. Der Mann, der einen Anzug trägt und vor einem sanft-roten Hintergrund steht, schaut dem Betrachter ernst aber selbstbewusst in die Augen. Bei genauem Hinsehen erkenne ich in seinem Blick etwas spöttisches, herablassendes.

Die leichte Aufsicht des Fotos verstärkt diesen Eindruck: Der Mann wirkt anmaßend und arrogant, wie jemand, der weiß, dass man ihm nichts anhaben kann. Irgendwie erinnert er mich an einen berühmten amerikanischen Schauspieler, der für die Rolle eines Schurken einen Oscar gewonnen hat. Jetzt bemerke ich, dass die Lippen des Mannes den Hauch eines Kussmundes andeuten, wodurch sein Gesicht weicher erscheint. Außerdem hat er seine Stirn ein bisschen in Falten gelegt, was ihn zwar nicht sympathischer macht, aber irgendwie menschlich. Er sieht plötzlich aus, als ob er sich seiner Sache doch nicht so sicher wäre. Dieser Zwiespalt in seinem Äußeren verwirrt mich. Einerseits halte ich den Mann für einen blasierten Clown, andererseits finde ich ihn interessant. Ich kann Charles Schmid auch nach längerer Betrachtung seines Fotos nicht greifen. Die Unbegreiflichkeit macht mich neugierig.

© Christoph Brandl

Fortsetzung folgt

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